WARTEN AUF EDUARD

Ich schneide vorm Haus Dosen, während Eduard seine Vorbereitungen trifft zur langen Weltreise, er will nämlich heute, von mir herausgeklingelt, einen Schritt nach außen zu tun wagen, und dazu muß er sich absichern - nach allen Seiten hin. Diese Reisetasche voll mit Servietten, jene mit Tüten, jene Tüte mit Eßbesteck - Man weiß ja nie, ob einem nicht vielleicht doch eine gebratene Ente da draußen in der Großstadt ins Maul fliegen wird. Und wie stünd man dann da, könnte man kein plastenes Eßbesteck aus einer Tüte kramen, um dem Tiere, das einem so zu Leibe rückte, zu Leibe rücken zu können?
Sicher ist sicher.
Besser man hat auch was dabei für einen andern Schnorrer, irgendetwas aus der Schatztruhe oder Fundgrube der Schnorrer. Sozusagen ein Schnorrschnorr, was sowas wie ein Schnuller für Schnorrer ist. Man gibt sich damit als Bruder unter Brüdern zu erkennen. Daß sie einem möglichst nicht nachts auf der Parkbank den Schädel einschlagen, auf der man es sich ein wenig guttat unterm Schein des Mondes, - nur weil sie ein plötzliches Bedürfnis nach Schnorrschnorr empfinden!
Hat er auch die mit Leitungswasser gefüllten Flaschen nicht vergessen?
Was wenn plötzlich der Durst käme!
Man kann doch nicht einfach an einer Tür klingeln und um ein Glas Wasser bitten!
Das Warten fuchst die Wartende. Sie schneidet aus der Dose einen Servierer. Der lädt ein zu einem Blick in die Vergangenheit des mit der Vorbereitung zur Welt Kämpfenden. Aber auch zu einem Blick in seine Gegenwart. Er bediente einstmals Gäste. Heute träumt er, daß ihm die Idylle des Traumpaars auf dem Teller serviert wird.
Was natürlich ein unerfüllter Traum bleiben muß und darum versinkt er auch allsobald wieder in tiefsten Enttäuschung: Die Welt ist bös. Vor der muß man sich verstecken. Sie ist enttäuschend. Will einem ständig wehtun, indem sie Träume zerstört.
Der Servierer:

Er serviert das ausgesuchte Menü.
Was haben Sie bestellt?

Noch kann man es schlecht erkennen.

Da wird es schon deutlicher, ein Tanzpaar in Kostümen,
die nicht mehr unsrer Zeit entstammen,
wie auch der Tanz.

Wenn wir nur wüßten, was Zywiec heißt und aus welcher Sprache das Wort stammt. Dann wüßten wir vielleicht, daß das tanzende Kosakenpäarchen nichts mit Kosaken zu tun hat.

Vielleicht kommen sie aus dem Balkan? Jedenfalls werden sie uns serviert auf hungrigen Magen. Wer hat denn nicht Hunger nach Austausch? Dem disziplinierten Austausch zu fröhlicher Musik? Gesellschaftlich erlaubter Annäherung!

DU siehst da Gefahren und mit 58 Jahren endlich kann ich DIR da recht geben. In der körperlichen Nähe kann durchaus ein andrer Mensch im Tänzer wachwerden. Einer, der die ganze Zeit in ihm eingesperrt war wir in einem Gefängnis. Ein Geist. Plötzlich tritt er hervor. Schreck laß nach. Bin das noch ich? Die körperliche Hand kann ihn schwerlich zurückhalten.

Ach und Weh - Klagen nutzt nun auch nichts mehr. Der Geist der Sinnlichkeit, den wir so leichtsinnig geweckt haben, werden wir so schnell nicht wieder los! Wir bilden uns ein, den Nahen zu lieben. Dabei ist die erfahrene Nähe nur die körperliche, die die Sinne weckte. Die Herzen kennen einander nicht und können sich daher noch gar nicht lieben.
Noch schlimmer, sie kennen nicht die Quelle aller Liebe, den Grund alles Seins. Und können - im Mangel an Liebe zu DIR - erst recht nicht geduldig mit den Fehlern des andern sein, nicht demütig seine Angriffe hinnehmen, nicht stumm sein Schelten, stumm, im Schweigen der Liebe, also auch ohne innerlich an den Rand des Ausbruchs zu geraten.
Sanftmut, ehedem eine besondere Tugend der gut, das heißt nicht zur Eitelkeit erzogenen Frau, liegt uns heute fern. Eine harte, bis in den hintersten Winkel des Saals durchdringende Stimme zu machen, gelang mir, der Frau, sobald ich dies nur wollte.
Aber warum habe ichs denn wollen wollen?
Neid auf die Vorrechte der Männer. Und das Leiden daran, daß sie uns nicht für ebenbürtig nahmen. Sie hatten einen Hochmut und wir einen Neid auf diesen Hochmut.
Wir entrissen ihnen den Hochmut, um uns nun selber an diesem Gift zu laben. Füttern auch unsre Kinder mit diesem Unrat. So werden sie Ungeratene.
8. Dezember 2006
19h36est
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